Gerhard Wisnewski: 2021 – Das andere Jahrbuch

verheimlicht, vertuscht, vergessen; Was 2020 nicht in der Zeitung stand

Besprochen von Helmut Obst, Bibliothek der Stiftung Pfennigparade, München im Februar 2021

Das Jahrbuch des Journalisten Gerhard Wisnewski befand sich mit seiner Ausgabe 2021 zum Jahresanfang unter den Top Ten der SPIEGEL-Sachbuch-Bestsellerliste. 

Schon im Klappentext begegnen dem Leser irritierende Fragen zur Corona-Krise, die die Haltung des Autors zu diesem Thema darlegen. „Wurde die Corona-Pandemie geplant?“ „Alle Länder der Welt handelten wie gleichgeschaltet und folgten einer globalen Befehlsstruktur. Wer steuert diese Befehlsstruktur? Wer hat auf dem Globus das Sagen, und wo soll das alles enden?“ 

Das Buch beschäftigt sich zwangsläufig vorwiegend mit der Corona-Pandemie, die dabei stets verharmlost und vom Autor für haarsträubende Schlussfolgerungen auf weltweite Verschwörungen herangezogen wird. Um aber besonders die politische Positionierung des Werks am rechten Rand zu beleuchten, habe ich bei dieser Besprechung die Kommentierung des Hanau-Anschlags am 19. Februar 2020 herausgegriffen.  

Im hessischen Hanau wurden damals von einem 42-jährigen Täter neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Anschließend erschoss der Mann in seinem Elternhaus seine Mutter und sich selbst. Das dazu gehörige Kapitel im Jahrbuch ist mit „Hanau-Anschlag: der beste Mann der Etablierten“ überschrieben. Zunächst zitiert Wisnewski aus einem YouTube-Video mit zusammengefassten Messenger-Audio-O-Tönen von verschiedenen Zeugen des Tattags und des darauffolgenden Tages (vgl. S. 80ff). Er deutet das Geschehen daraufhin als kriminellen Bandenkrieg mit einer „Vielzahl von Personen, Autos und Schauplätzen“ (S. 83). Er unterstellt, dass mit einem entsprechenden „Framing“ das Attentat lediglich als rechtsradikale Tat gebrandmarkt werden sollte. Der Autor bezeichnet die derartige Einordnung des Täters als „psychologische Propaganda-Aktion“, wie sie bereits bei vielen anderen Attentaten zuvor vorgekommen sei (vgl. S. 88). Die Formel „Verschwörungstheoretiker = geisteskrank = rechtsradikal = Killer“ (S. 88) würde aufgestellt und sogleich ein Bezug zur AfD hergestellt. Über das Framing „rechtsradikal“ würde der Anschlag der AfD in die Schuhe geschoben. Dies sei ganz im Sinne der etablierten Parteien gewesen, die damit von den Problemen im Machtkampf bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ablenken konnten. Somit kommt Wisnewski zu dem Schluss, dass der mutmaßliche Massenmörder „quasi der beste Mann der Etablierten“ (S. 88) war.

Völlig abstrus wird es schließlich bei Wisnewskis Mutmaßung, wie das Massaker in Hanau wirklich im Elternhaus zu Ende gegangen sein soll. Der Attentäter Tobias R. habe nicht erst seine Mutter und dann sich selbst getötet, sondern es sei ein „inoffizielles Sonderkommando“ ins Haus eingedrungen, das ihn und seine Mutter erschossen habe, „um den toten Sohn später ungestört als Sündenbock benutzen zu können.“ (S. 90). Dabei stellt der Autor abschließend seinerseits die Frage „Weit hergeholt?“ und beantwortet sie mit „Wie man’s nimmt“. Als dürftigen vermeintlichen Beleg führt der Journalist Wisnewski an, dass gemäß einer türkischen Zeitung ein Vorsitzender des türkischen Unternehmerverbands aussagte, die Polizei hätte bereits vorab Kenntnis von dem bevorstehendenAngriff gehabt (vgl. S. 91).

Im Nachwort schreibt Gerhard Wisnewski, dass im Jahr 2020 das Ende des Begriffs „Verschwörungstheorie“ eingeläutet worden sei. Wer ihn weiterhin in feindlicher Weise gegen andere benutze, entlarve sich selbst als Teil der Neue-Weltordnung-Agenda, verfolge also selbst die Ziele der Verschwörungstheoretiker. Das vergangene Jahr sei bereits die Verwirklichung aller Verschwörungstheorien gewesen: „Verschwörung gegen die Menschheit, Weltregierung, globale Diktatur“ (S. 275). All dies sei nur von einem fadenscheinigen Schleier aus „Corona“ verhüllt. 

Wisnewski stellt sich mit seinen Ausführungen im Jahrbuch als Aufklärer dar, der das Jahr 2020 für seine Leser kritisch beleuchtet. Im Hinblick auf seinen Wahrheitsgehalt ist das Werk jedoch für einen unkommentierten Einsatz in Bibliotheken völlig ungeeignet. Aus seiner extremen rechten Gesinnung macht der Autor, wie am Text exemplarisch gezeigt, keinen Hehl. Bei einer etwaigen Anschaffung für den Bibliotheksbestand bedürfte es dringend einer Kontextualisierung. Die grundlegende Einordnung des Titels als ein Buch am rechten Rand ist zweifelsfrei vorzunehmen. Der Literaturkritiker Denis Scheck resümiert in der ARD-Sendung „Druckfrisch“ vom 24.1.2021[1] seinen Kommentar über das Werk mit den drastischen Worten: „Ich schäme mich einen solchen hirnzersetzenden Mist in die Kamera halten zu müssen. Eine Schande!“. Es steht jedoch zu befürchten, dass die Jahrbuch-Reihe auch im kommenden Jahr von Gerhard Wisnewski in gleicher Weise fortgeführt wird.

Quelle:

[1] Das Erste (2021): Video: Denis Scheck kommentiert die Top Ten Sachbuch, 24.01.2021, Web, abgerufen am 05.02.2021 um 8:45 Uhr, in https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/videos/bestsellerliste-sachbuch-video-108.html

Weitere Rezension der Jahrbuch-Reihe von Gerhard Wisnewski

Rezension des Deutschlandfunk-Nachrichtenchefs Marco Bertolaso der Jahrbuch-Reihe von Gerhard Wisnewski am Beispiel der Ausgabe des Jahres 2020:
 Marco Bertolaso, 30.01.2020, Almanach für Verschwörungsgläubige, https://www.deutschlandfunk.de/gerhard-wisnewski-verheimlicht-vertuscht-vergessen-almanach.2852.de.html?dram:article_id=469127